Tagungsbericht Forum Energie + Baukultur vom Dienstag, 23. April 2024
Das Forum «Dialog für Klimaschutz, Energiewende, Baukultur» vereinigte am 23. April 2024 leidenschaftliche Plädoyers für nachhaltiges Bauen mit frappanten Beispielen energiesparender Sanierungen. Das Fazit des hochkarätigen Symposiums: Bauten bewahren schont das Klima mehr
als Abbrüche. Diese Einsicht ist allerdings in der Baubranche und bei Hauseigentümerinnen noch
nicht mehrheitsfähig.
Der Denkmalpflege wird nachgesagt, sie verhindere die energietechnische Sanierung von Baudenkmälern. Solarpanels seien für sie gar tabu. Vielleicht im Wissen um solche Vorbehalte eröffnete Luc Mentha, der Präsident des Berner Heimatschutzes, das Forum «Energie und Baukultur» eher vorsichtig. Ja, Klimaschutz, Energiewende und Denkmalschutz in Einklang zu bringen, sei eine Herausforderung, sagte er. Aber es sei dennoch «nötig und dringlich». Die «Zerstörungswut», mit der der Immobiliensektor alte Gebäude durch klimafreundliche Neubauten ersetze, sei jedenfalls nicht besonders umweltfreundlich.
In die Eventfabrik Bern luden am 23. April der Berner Heimatschutz, die Sektion Bern des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) und die Sektion Bern des Bundes Schweizer Architekten (BSA) eine lange Reihe von Fachleuten des nachhaltigen Bauens ein, um eben diese These zu belegen: Dass sich das Erhalten und das energietechnische Ertüchtigen von Bauten nicht ausschliessen. «Ein konstruktiver Dialog aller Beteiligten über gemeinsame Ziele und Zielkonflikte ist möglich», bekräftigte die kantonalbernische Bildungs- und Kulturdirektorin Christine Häsler in ihrem Eingangsvotum. Und sie mahnte angesichts der voranschreitenden Klimaerwärmung zur Eile: «Wir müssen miteinander sehr rasch auf den Weg zu mehr erneuerbarer Energie kommen.» Wie das im Bauwesen zu schaffen sei, überliess sie den Teilnehmenden am Forum. Aber immerhin nahm dieses nun Fahrt auf.
Denkmalschutz ist auch Klimaschutz
Benoît Dubosson, stellvertretender Leiter der Sektion Baukultur im Bundesamt für Kultur,
verdeutlichte die Dringlichkeit mit einem dramatischen Bild: «Die letzten zehn Monate sind auf der
Erde die wärmsten gewesen.» Er machte klar, dass wir nicht zuletzt «das Wissen der Vergangenheit über Wiederverwendung, Sanierung und Verdichtung reaktivieren» müssten, um bis 2050 das Netto-Null-Ziel zu erreichen, wozu sich die Schweiz verpflichtet hat. Das bedeutet: nicht mehr Treibhausgase auszustossen, als sie von der Natur und mit technischen Mitteln absorbiert werden können. «In der breiten Bevölkerung hat die Denkmalpflege noch ein zu negatives Image des Bewahrens», sagte Dubosson. Er rief die anwesenden Fachleute des Bauens auf, die innovative Seite des Gebäudeschutzes zu betonen.
Nach den Eröffnungsvoten hiess Moderatorin Beatrice Born – Vizepräsidentin des Berner Heimatschutzes, Projektleiterin des Forums und frühere SRF-Radioredaktorin – rund 250 Anwesende aus Architektur, Bauwirtschaft, Energiesektor und Verwaltung willkommen. Darunter Leute aus Stadt und Land, ein Viertel aus der Romandie und ein weiteres Viertel aus der nichtbernischen Deutschschweiz. «Ideale Voraussetzungen für einen breiten Dialog», fand Born. Da in den Grundfragen Einigkeit herrschte, blieb die Debatte jederzeit konstruktiv.
Aufruf zur Wiederverwertung
Die Plädoyers für das Erhalten und Umbauen eröffnete Barbara Buser. Die 70-jährige Architektin vom Basler Baubüro insitu AG ist die Schweizer Pionierin des nachhaltigen Bauens. Eindringlich beschrieb sie eine aktuelle Fehlentwicklung: Die Bauwirtschaft verursache 40 Prozent der Treibhausgas-Emmissionen, ihre Renditeerwartungen seien immer höher und sie habe «den Wohnraum zu einem Finanzprodukt» gemacht. Gegensteuer sei aber möglich.
Wie das geht, erläuterte Buser etwa am konkreten Beispiel einer alten Lagerhalle in Winterthur, die ihr Baubüro mit eingesammelten Teilen von Baustellen – Fenster, Fassadenbleche, Radiatoren oder Tragbalken – sanierte. Der bestechende Effekt: Mit 70 Prozent wiederverwendeten Elementen habe man 60 Prozent der Treibhausgas-Emissionen eines Neubaus gespart. Die Herausforderung: Die Bauherrschaft musste ein Jahr mehr Zeit geben für Analysen und Bauteilsammlung sowie 10 Prozent der Baukosten vorauszahlen. Buser hat eine eigentliche Strategie des zirkulären Bauens entwickelt. Diese basiert auf der Wiederverwendung und dem Reparieren alter Bauteile oder dem sparsamen Einsatz von ökologischen Materialien. Busers Fazit aus jahrzehntelanger Erfahrung mit nachhaltigem Bauen: Umbauen und Sanieren ist immer umweltfreundlicher als Ersatzneubauten.
Am Ende ihres leidenschaftlichen Appells forderte sie von der Architekturzunft ein Umdenken: «Wir sollten nicht mehr vom Neubau auf der grünen Wiese, sondern von einem bestehenden Baubestand ausgehen, das kann nicht so schwer sein.» Dafür müssten Architekturwettbewerbe nachhaltiges Umbauen explizit einfordern. Zum Schluss wagte Buser den Tabubruch: «Wir müssen jetzt aufhören, einfach abzureissen.» Noch ist die Realität allerdings eine andere. Moderatorin Beatrice Born zitierte aus dem Onlinemedium «Republik», dass in der Schweiz jährlich schätzungsweise 4000 bis 5000 Gebäude abgerissen werden.
Sanieren kann rentieren
Die Dozentin und Architektin Katrin Pfäffli des Büros preisig:pfäffli in Zürich erbrachte anschliessend als Expertin für ökonomische Wertfragen den Beweis, dass Sanieren rentabler sein kann als neu bauen. Dafür müsse man allerdings langfristig denken, also den ganzen Lebenszyklus und Unterhalt eines Gebäudes betrachten. Sie rechnete vor: Wenn man die Aussenhülle des Gebäudes so isoliere, dass die Wärme im Haus bleibe, und wenn man Fotovoltaik sowie langlebige Materialien einsetze, dann brauche ein Umbau auf die Dauer nur rund zwei Drittel der grauen Energie eines Neubaus. Graue Energie oder graue Treibhausgase sind die in einem Bau versteckten Energien und Emissionen, die beim Herstellen der Baumaterialien, bei ihrem Transport und beim Bauen des Gebäudes freigesetzt werden.
«Auf den ganzen Lebenszyklus eines Hauses betrachtet, entstehen allein 85 Prozent der Treibhausgase beim Erstellen eines Baus», verdeutlichte Pfäffli. Ein schlagendes Argument gegen Ersatzneubauten. Allerdings schränkte die Architektin ein, dass es keine Patentlösung oder einen «Kippunkt» gebe, ob und wann ein Umbau nun einem Ersatzneubau vorzuziehen sei. Und Pfäffli machte klar, dass wir auf der ersten Etappe zum nachhaltigen Bauen schon «vor einer Riesenaufgabe stehen»: In den nächsten 25 Jahren müssen die fossil betriebenen Öl- und Gasheizungen in 1 Million Gebäuden ersetzt werden, damit die Schweiz 2050 das Netto-Null-Klimaziel erreicht.
Willkommen in der Wirklichkeit! Am Forum zeigten sich auch Grundwidersprüche der Debatte. Ein erster betrifft die Zeit. Um die Klimaerwärmung bis 2050 zu bremsen, ist höchste Eile geboten. Das klimafreundliche, nachhaltige Bauen aber erfordert viel Zeit, Geduld, ein Denken in langen Zeiträumen. Auf einen paradoxen Punkt gebracht: Du hast keine Zeit, aber nütze sie. Im Zeitdilemma steckt insbesondere die Baubranche: Schnelle Neubauten werfen rascher Gewinne ab als komplexe Umbauten mit wiederverwendeten Materialien. Der zweite Widerspruch betrifft die menschliche Psyche. Wir alle müssten bereit sein, in teurere Lösungen zu investieren und darauf vertrauen, dass diese auf die Dauer kostensparend sind. Wir neigen aber zu kurzfristigen Billiglösungen.
Energieamt und Denkmalpflege im Dialog
In ihrem Doppelreferat räumten anschliessend die kantonalbernische Denkmalpflegerin Tatiana
Lori und Ulrich Nyffenegger, Vorsteher des kantonalbernischen Amts für Umwelt und Energie, mit der Behauptung auf, dass Denkmalpflege und Solarpanels unvereinbar seien. Die Gesuche für PVAnlagen
auf geschützten Gebäuden haben sich im Kanton Bern in wenigen Jahren auf 350 verzehnfacht. Es ist also möglich, auch wenn dafür zwingend eine Baubewilligung nötig ist und Vorgaben gelten. Etwa die, Solarpanels an einer weniger sichtbaren Gebäudeseite anzubringen und mit reflexionslosem Glas zu versehen. Lori und Nyffenegger beteuerten, dass ihre Ämter bei der klimafreundlichen Sanierung von Baudenkmälern kooperierten.
Fast wichtiger als diese Bekräftigung war der Symbolwert ihres gemeinsamen Auftritts. Ein Thurgauer Forumsteilnehmer erzählte in einer Pause des Forums, dass Denkmalpflege und Energieamt in seinem Kanton nicht einmal miteinander reden. Der Berner Kantonsbaumeister Lorenz Held lobte das Doppelreferat in der Schlussrunde des Forums als «Highlight und gelungenes Experiment». Es ist ein Verdienst der Veranstalter, Lori und Nyffenegger zusammengebracht zu haben. Sie erbrachten den Tatbeweis, dass der Dialog von Denkmalpflege und Energiebehörde möglich ist.
Gewinnorientiert und dennoch klimagerecht
«Wir sind die Bösen und die Gierigen», sprach danach Gabriela Theus augenzwinkernd Klartext. Die Ökonomin ist Geschäftsführerin der börsenkotierten Immofonds Asset Management AG in Zürich. Ihr Auftritt war so etwas wie die Nagelprobe, dass auch gewinnorientierte Immobilienfirmen einen Sinn für das klimagerechte Bauen haben. «Nachhaltig ist auch wirtschaftlich», versicherte Theus, ihr Fonds nehme sich das Erreichen des Netto-Null-Ziels bis 2050 vor.
Sie berichtete engagiert vom Grossprojekt Wankdorfcity 3 in Bern, das ihr Fonds plant. Auf dem bis jetzt gewerblich benutzen Areal zwischen Bahn und Autobahn neben den Hauptsitzen von Post und SBB entsteht auf 34’000 Quadratmetern eine gemischte Siedlung mit acht Gebäuden – turmhohe Wohnbauten aber auch Dienstleistung und Gewerbe, etwa in einer bestehenden Fabrikhalle, die wiederverwendet wird. In der Siedlung wird nach dem Schwammstadtprinzip das Regenwasser zurückgehalten, 10 Prozent der Baukosten sollen laut Theus für Nachhaltigkeit eingesetzt werden.
Auf Nachfragen aus dem Plenum räumte sie ein, dass man beim Projekt Wankdorfcity 3 das Netto- Null-Ziel nicht einhalten könne. Die Wiederverwertung alter Bauteile habe überdies ihre Grenzen. Und ja, das Projekt müsse eine Gewinnererwartung von 3,5 bis 4 Prozent erfüllen. Die Renditeerwartungen anderer Immobilienfirma seien allerdings höher. Zum Schluss ordnete Theus ein, dass auch andere Immobilienfonds so langfristig planen wie ihr Unternehmen. «Für den breiten Rest» der Immobilienfirmen gelte das allerdings eher nicht, fügte sie an.
Fallbeispiele des nachhaltigen Bauens
Nach den Appellen für nachhaltiges Bauen wurden am Nachmittag des Forums konkrete und ermutigende Sanierungsbeispiele präsentiert, mit denen der Ausstoss von Treibhausgasen wirklich gesenkt werden kann.
Stefanie Schwab, Professorin und Spezialistin für die Gebäudehülle an der Haute école d’ingénierie et d’architecture in Freiburg, stellt ihr Know-how der Waadt zur Verfügung. Die Denkmalpflege und das Energieamt des grössten welschen Kantons erarbeiten eine Strategie für die energetische Sanierung geschützter Bauten. Schwabs Team begleitet den Prozess mit interdisziplinären Seminaren. «Die beiden Direktionen verweigerten früher den Dialog, beim Wegkommen vom Silodenken sind wir erst am Anfang», berichtete sie nüchtern.
Im Kanton Waadt schafft Schwabs Team für alle Klassen geschützter Bauten Typenblätter zur energetischen Ertüchtigung. Für jedes Baudenkmal soll es spezifische Tipps für den richtigen Sanierungsfahrplan geben. Auf eine Frage aus dem Plenum räumte Stefanie Schwab ein, dass die Sanierungskosten bei geschützten Gebäuden noch hoch seien. «Bis 2050 haben wir aber noch etwas Zeit», sagte sie. Wenn bis dann besondere Ersatzteile in höherer Zahl verlangt würden, könnten diese auch billiger werden.
Die Schaufassade eines Hauses am Rande des Basler Zoos ist nach der Sanierung ein einziges, grosses Solarpanel. Das sieht man dem Gebäude aber dank eines grün getönten Spezialglases ohne Reflexion kaum an. Jakob Schneider von den Basler Salathé Architekten stellte diesen Umbau unter dem Motto «so viel wie nötig, so wenig wie möglich» vor. Das Haus produziert nun 60 Prozent mehr Energie als es selber verbraucht. Diese gute Nachricht relativierte Schneider allerdings: Auch mit dieser fasssadengrossen Solaranlage erreiche man das Netto-Null-Ziel noch nicht. Schneider räumte ein, dass sein Architekturbüro neben Sanierungen weiterhin Neubauten erstelle.
Suffizienz statt Effizienz
Daniel Minder vom Atelier M Architekten Zürich präsentierte ein eindrückliches Beispiel für Suffizienz – also den sparsamen Einsatz von Energie und Materialien innerhalb der Grenzen ökologischer Erneuerung. In Zürich hat Minders Büro das denkmalgeschützte Haus Felsenrain von 1899 energetisch aufgerüstet, ohne das alte Heizsystem mit Etagenholzöfen durch eine Zentralheizung zu ersetzen. Ein Jahr lang eruierte man zuerst mit Messungen den Holzverbrauch und die undichten Stellen der Gebäudeaussenhülle. Diese wurden dann gezielt saniert. Eine intelligent gesteuerte Fensteröffnungsanlage sorgt nun für die richtige Lüftung.
Die Einsparung wird deutlich im Vergleich mit der herkömmlichen Sanierung des Nachbargebäudes: Die suffiziente Sanierung verbrauchte 68 Prozent weniger graue Energie und stiess 71 Prozent weniger Treibhausgase aus. Daniel Minder räumte ein, dass die suffiziente Sanierung um rund 5 Prozent teurer war. Die Bauzeit sei aber nicht länger gewesen, und beim Unterhalt werde man im nachhaltig sanierten Haus in Zukunft deutlich sparen können. Die Anforderung des Vorgehens: «Man muss ein Gespür entwickeln, welche Sanierung zu einem Haus passt», sagte Minder. Und dafür müsse man sich Zeit lassen.
Andreas Kalberer, Projektleiter Nachhaltigkeit bei der HIAG Immobilien Schweiz AG in Basel, trat darauf den Beweis an, dass sogar ein historisches Industrieareal nachhaltig und dennoch rentabel ertüchtigt werden kann. Zu den 44 einstigen Anlagen der Holz-, Papier- und Textilindustrie, die die HIAG im Portfolio hat, gehört auch das frühere Spinnereiareal Kunz in Windisch. Kalberer berichtete, wie man im Dialog mit den Bewohnerinnen und Bewohnern nach 15 Jahren soeben eine Erneuerung abgeschlossen habe, die Alt- und Neubauten kombiniert. 230 Wohnungen entstanden, unter anderem in früheren Fabrikgebäuden. «Wir wollen Gebäude bauen, die auch in 80 Jahren noch vermietbar sind», betonte Kalberer die nachhaltige Perspektive der HIAG. Die Schwierigkeiten bei der Arealsanierung erläuterte er am Beispiel einer schlecht erschlossenen, früheren Fabrikhalle bei Brugg: Sie sei schwierig umzunutzen und habe einen hohen
Sanierungsbedarf, sie eigne sich wohl nur für einen Fachmarkt.
Verdichten durch Bewahren
Wie sich Verdichtung und Nachhaltigkeit vereinen lassen, zeigte schliesslich der damalige Projektleiter Adrian von Känel von den Mühlethaler Architekten Bern. Nachdem die Denkmalpflege den Totalabriss der Arbeitersiedlung Pappelhöfe in Langenthal unterbunden hatte, schlugen die Mühlethaler Architekten einen Kompromiss vor: Ein Teil der Mehrfamilienhäuser aus den 1940er-Jahren wurde sanft saniert, ein Teil durch vierstöckige Neubauten ersetzt, und in den Zwischenräumen zwischen den Altbauten entstanden Neubauten aus langlebigem Holz. 32 Vierzimmerwohnungen kamen so neu hinzu. Bestehende alte Schopfbauten ersparten den Aushub von Kellergeschossen.
Die Dreieinhalbzimmer-Wohnungen in den Altbauten behielten ihren Grundriss und wurden sanft saniert. Ihre Mietpreise stiegen durch die Sanierung bloss moderat von 500 auf 900 Franken im Monat. Für die neuen Vereinhalbzimmer-Wohnungen zahlt man monatlich 1500 Franken. Auch Adrian von Känel gestand auf Nachfrage einen Abstrich ein: Auf Wunsch der Bauherrschaft sei eine unterirdische Autoeinstellhalle gebaut worden. «So ist halt die Realität», schloss von Känel.
Nach der Präsentation gelungener und sparsamer Umbauprojekte, war man am Forum versucht zu
sagen: Geht doch! In der anschliessenden Podiumsdiskussion führte der Berner Kantonsbaumeister
Lorenz Held dann zurück in die erwähnte Realität – oder besser: Normalität. Es gebe am Forum einen «Elefanten im Raum», sagte er: all die Einfamilienhausbesitzer und Stockwerkeigentümerinnen, die zwei Drittel aller Schweizer Eigentumsverhältnisse ausmachen. «Haben sie die Zeit, die Geduld, das Geld und das Know-how für eine nachhaltige Sanierung ihrer Häuser?», fragte Held.
Graue Energie, graue Treibhausgase dürfen nicht tabu sein
Zum Ausklang des Forums liess Moderatorin Beatrice Born auf dem Podium Fragen diskutieren, über die die Anwesenden vorgängig per Handyapp abgestimmt hatten. Eine deutliche Mehrheit sprach sich dabei für eine Besteuerung des Abbruchs aus. Zustimmung gab es auch zur Frage, ob man künftig die graue Energie bei der Gesamteffizienz eines Gebäudes und sogar im Baubewilligungsverfahren ausweisen solle. Eine knappere Mehrheit sprach sich selbst dafür aus, die Suffizienz beim Bauen künftig rechtlich einzufordern.
Sprach hier die Forum-Bubble der schon Überzeugten? Die Fachleute auf dem Podium blieben eher skeptisch. FDP-Mitglied Lorenz Held sah gesetzliche Regulierungen zur Verteuerung des Abbruchs und der Förderung der Suffizienz kritisch. Er bevorzugte die Korrektur von finanziellen Fehlanreizen, die das schnelle Abreissen zu billig und attraktiv machen.
Katrin Pfäffli fand augenzwinkernd, man könne nicht von Vierzimmerwohnungen ein Zimmer wegschneiden. Und Personen, die allein in Dreizimmerwohnungen lebten, könne man nicht «mit einem zusätzlichen Mitbewohner verkuppeln». Allzu rigide, teure und kurzfristige Massnahmen würden Abwehrreaktionen auslösen, warnte Pfäffli. Sie riet, zuerst «die low hanging fruits zu ernten». Dass bedeute prioritär: fossile Heizungen auswechseln, Dach und Kellerdecken isolieren, Fenster erneuern sowie Strom fressende Geräte ersetzen.
Stefanie Schwab lobte zwar den positiven Effekt von Leuchtturmprojekten, wie sie am Forum präsentiert wurden. Sie lenkte den Blick aber auf den «grossen Rest des Gebäudeparks». Und stellte die Frage aller Fragen: «Wie und mit welchen Anreizen schafft man es, die grosse Masse der Eigentümerinnen und Eigentümer ausserhalb der Klimaschützerszene mitzunehmen?» Am Ende des Forums stand die Einsicht: Es gibt noch viel Luft nach oben.
Dennoch hat die Debatte über «Energie und Baukultur» mit ihren inspirierenden Vorschlägen erfolgreich das geschafft, was sich Regierungsrätin Christine Häsler zum Auftakt von den Anwesenden gewünscht hatte: «Setzen Sie mit Ihrer Debatte Energie frei.»
In den Schlussplädoyers wurden dann griffige Botschaften formuliert. Lorenz Held forderte mehr Kostenwahrheit beim Bauen und kritisierte die selbstgefällige Abwehrhaltung «not in my backyard». «Bauen ist nicht einfach eine Privatsache», fand Ueli Krauss, Co-Präsident der SIASektion Bern, alle Beteiligten müssten Verantwortung übernehmen, nicht bloss die Architektinnen und Architekten. Und Luc Mentha, der Präsident des Berner Heimatschutzes, verlangte von der Politik einen verstärkten Fokus auf die graue Energie. «Die Bausubstanz alter Gebäude zu erhalten, ist aktiver Klimaschutz», fasste er mit Nachdruck eine Haupterkenntnis des Forums zusammen.
Text von Stefan von Bergen
Zur Bildreportage von Alexander Egger: https://www.bernerheimatschutz.ch/aktuelles-detail/dialog-fuer-klimaschutz-energiewende-baukultur